Geduld ist alles: Freiheitsdressurseminar mit Bartolo Messina

Bartolo Messina Bartolo Messina Foto: STUTTGART EXPRESS

Freiheitsdressur-Seminar in Mühlheim an der Ruhr im Centro de Caballo de la Luz

„300 Kilometer von Stuttgart nach Mühlheim an der Ruhr, nur um einen Menschen zu sehen, der mit Pferden spielt? Ja lohnt sich das denn?“ Das war der Gedanke, der mir durch den Kopf schießt, als ich Montag Morgen mit dem Zug aufbreche, um am  Seminar von Bartolo Messina teilzunehmen. Wie es heißt, handelt sich auch um eine „Clinic“ für schwierige Fälle, das halte ich aber für einen Übersetzungsfehler oder einen Gag. Das ist aber durchaus wörtlich gemeint. Doch davon später.

Auf ins Centro de Caballo de la Luz
Mühlheim an der Ruhr, gelegen mitten im Ruhrgebiet zwischen Duisburg und Düsseldorf,  bietet am Bahnhof die typische langweilige Nachkriegsarchitektur. Da ist ein Taxi! Ich fahre zum „Centro de Caballo de la Luz“, wo das Seminar stattfindet. Im Internetauftritt wirkt der Stall etwas edeldüster, alles in schwarz und gold. In der Realität besteht der Stall aus mehreren hübschen Stallgebäuden, Führanlage, Reitplatz, sehr schöne Reithalle, große Weiden, viele Pres und Lusitanos schauen zufrieden kauend herüber.

Seminar, erster Tag
Am ersten Tag des Seminar stellt Bartolo seine Philosophie und seine Arbeitsweise in der  Freiheitsdressur theoretisch vor. Er erläutert, dass das Zentrum seiner Pferdearbeit die vertrauensvolle Beziehung zwischen Mensch und Pferd  ist. Um die zu erreichen, müssen wir Menschen uns ändern, nicht das Pferd. Das Pferd ist einfach ein Pferd, es will auf der Weide stehen um Gras zu rupfen, wir Menschen sind die, die kompliziert sind. „Are you ready to change?“ fragt Bartolo uns. Bartolo und sein Team sind wirklich offensichtlich erfüllt von ihrem Anliegen, die Beziehung der Menschen mit ihren Pferden zu verbessern.

Entscheidend: Der Zugang zum Pferd
Messina sagt: „Um eine vertrauensvolle Beziehung zu erreichen, müssen wir Pferde werden, mit unserer Körpersprache Pferdesprache sprechen“. Im Zentrum dieser Körpersprache steht die Körperhaltung, die dem Pferd Ruhe und Sicherheit vermitteln soll. Es wird vom Menschen ein energetischer Raum geschaffen, der dem Pferd Sicherheit vermittelt, eine Komfortzone, in die das Pferd eintreten kann und dann auch will. Dafür muss der Mensch Anführer des Pferdes sein, nicht im Sinne einer reinen Dominanz, sondern in dem Sinne, dass der Mensch eine energetische Verbindung mit dem Herdentier Pferd eingeht, indem der Mensch dem Herden- und Fluchttier Pferd durch seine eigene Ruhe und Gelassenheit Sicherheit schenkt.

Jetzt kommen sie herein, die Manegenstars der Appassionata, die Showpferde Keino und Giorgorito. Die beiden haben wirklich eine unvergleichliche Ausstrahlung. Keino, der mit 7 Jahren noch fast kindlich wirkt und Giorgorito, der „alte Hase“. Mit den beiden demonstriert Bartolo sein Konzept in der Praxis. Wenn ein Mensch die Bekanntschaft eines Pferdes macht gilt es, immer schön höflich zu bleiben. Übergriffiges Verhalten, einem Pferd zum Beispiel direkt ins Gesicht greifen zur Begrüßung, das hassen Pferde genau wie wir. Höflich auf pferdisch ist es, dem Pferd zunächst den Handrücken zum Nasenkontakt anzubieten, und anbieten heißt anbieten, nicht einfach hinlangen und anfassen. Keiner mag es, wenn ein Fremder ihm einfach ins Gesicht tatscht, Pferde auch nicht. Nimmt ein Pferd dann durch vorsichtiges Schnuppern am Handrücken den Kontakt an, dreht sich Bartolo langsam zum Pferd und tut das, was Pferde wirklich sehr gerne mögen: er kratzt und krault sie ausgiebig am Widerrist.

Nichts geht ohne Geduld
Langsam, sehr langsam bewegt sich Bartolo Messina, immer wieder verharrt er in energetisch Ruhe ausstrahlender Haltung, Kopf gesenkt, Hände am Körper. Warten. Warten. Warten. Mindestens 20 Sekunden lässt er dem Pferd, um erstmal nachzudenken. Gut, Bartolo Messinas eigene Pferde Keino und Giorgorito haben ja schon genug Vertrauen, Bartolo zeigt mit ihnen, was dann noch so alles geht in der Freiheitsdressur, Piaffe, Spanischer Schritt, Reiten ohne alles.

Als  die  anderen Seminarteilnehmer von ihren Pferden bzw. die Geschichten ihrer Pferde erzählen, wird mir klar, das „Clinic“ im Seminartitel durchaus ernst gemeint ist. Da sind neben Pferdebesitzern mit „normalen Pferdeproblemen“ wie Zwicken, Drängeln, Respektlosigkeiten wirklich auch harte Geschichten: die Ponydame Alina (Name von der Redaktion geändert) wurde in letzter Minute trächtig aus der Schlachterei geholt und der Besitzerin als Wallach verkauft, eine Pre Stute wäre in Spanien fast verhungert... Da hatte mein altes Schulpferd wohl im Vergleich noch ein gutes Leben. 

Seminar, Tag zwei
Am nächsten Seminartag geht´s dann ans Eingemachte. Die Seminarteilnehmer stellen zunächst ihre Pferde am Strick  vor. Dann zeigt Bartolo, wie er eine vertrauensvolle Beziehung zum jeweiligen Pferd aufbaut. Beim Pferd sein, einfach da sein, atmen, warten. Dann Handrücken anbieten. Wenn der Kontakt angenommen wird folgt Kratzen am Widerrist.

Didaktisch ist das Seminar sehr klar aufgebaut. Jeder Seminarteilnehmer nimmt einen Handlungshinweis bzw. fast auch eine Anleitung zum Aufbau von mehr Vertrauen mit seinem Pferd mit nach Hause. Mit jedem Pferd an diesem Tag arbeitet Bartolo anders, das eine Pferd braucht eine Andeutung von Druck, das andere erschrickt regelrecht bei jeder falschen Bewegung. Die Pferde fassen nach etwa einer dreiviertel Stunde volles Vertrauen zu Bartolo, folgen ihm dann, kauen, lassen den Hals fallen.

Problemfall Alina
Der therapeutische Aspekt der „Clinic“ wird besonders deutlich an Alina, der Ponystute vom Schlachthof. Bei Alina sind die Verletzungen der Vergangenheit offensichtlich sehr gravierend. Bartolo ringt um das Vertrauen der Stute, es ist sehr anrührend zu sehen, wie diese Kontakt aufnehmen will und doch vor lauter Anspannung nicht kann. Zu sehen, wie sie mit Schrecken auf die Gerte reagiert, wie sie unvermittelt Flashbacks zu bekommen scheint, wenn sie durch Berührungen oder Bewegungen an vergangene schlimme Ereignisse erinnert wird. In der Stunde mit Bartolo Messina beginnt sie sich zu entspannen, bleibt aber immer wachsam. Bereit davonzustürmen. Die Gewalt, die sie durch harte Behandlung durch Menschen erlitten hat wird mit den Händen greifbar im Raum in ihren Reaktionen auf Bartolos Kontaktaufforderungen. Traumatherapie für geschundene Pferdeseelen auf pferdisch.

Mein Fazit
Um auf die Frage vom Anfang zurückzukommen: Lohnt es 300 km in Bus und Bahn durch Deutschland zu reisen um Bartolo Messina und sein Team im Seminar zu erleben? Ja, es hat mehr als gelohnt. 300 km um Menschen zu erleben, die ein Anliegen haben: den respektvollen Umgang von Mensch und Pferd, auf der Basis einer vertrauensvollen Beziehung. Den achtsamen Umgang von Lebewesen miteinander, Zeitgenossen auf dieser Erde (ulbri).

Freitag, Mai 17, 2024