Goodbye Britain, Hello consequences

Horrorvision jedes Briten ist  "Klein-Britannien" Horrorvision jedes Briten ist "Klein-Britannien" STUTTGART EXPRESS

Der Brexit: Was sind die Folgen für den Raum Stuttgart, was die für Verbraucher?

Die Ernüchterung war für viele groß nach dem Volksentscheid zum EU-Ausstieg: Die Briten haben sich mehrheitlich gegen die Europäische Union entschieden. Und auch, wenn es bis zum endgültigen Brexit noch etwa zwei Jahre dauern wird, ist schon jetzt klar, dass die Veränderungen und wirtschaftlichen Auswirkungen enorm sein werden – vor allem für Großbritannien, aber auch für exportstarke Staaten wie Deutschland.

Brexit und Great Britain: Was passiert auf der Insel?
Es ist ausgesprochen fraglich, ob es in einigen Jahren das Vereinigte Königreich, wie wir es aus der Vergangenheit kennen, noch geben wird. Sofort nach Bekanntwerden des Volksentscheid-Ergebnisses meldeten die EU-freundlichen Schotten ihren Widerstand an: „Mit uns nicht!“ Und im gleichen Atemzug gab die Schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon bekannt, man prüfe einen erneuten Volksentscheid über eine Loslösung vom Vereinigten Königreich, um weiter EU-Mitglied bleiben zu können. Schon das letzte Referendum zu diesem Thema ging im September 2014 unter anderem deshalb (relativ knapp) glimpflich aus, weil die Zentralregierung in London eine Vielzahl an Zugeständnissen machte und für alle Beteiligten ein Verbleib in der EU völlig außer Frage war. Das ist nun anders. Wie sich die politische Lage auf der INsel nach Vollzug des Austritts Ende 2018 und nach Aufnahme Schottlands in die EU darstellen könnte, zeigt nebenstehende Illustration: Die Vorstellung eines „Klein-Britannien“ (oder heißt es zukünftig „Small Britain“?) muß für jeden Engländer eine Horrorvision sein. Kein Wunder, dass Boris Johnson jetzt vor einer Kandidatur für das Amt des Premierministers zurückzuckt: Er kneift, weil er vermutlich nicht als derjenige in die Geschichtsbücher eingehen will, der den Austritt aus der EU vollzieht, eine schwere Rezession verursacht hat und die Folgen managen muss und das britische Staatsgebiet quasi halbiert, weil er die Schotten in die Unabhängigkeit ziehen lassen muss. Auch das Schicksal Nord-Irlands ist plötzlich wieder offen - auch die Iren haben mehrheitlich pro EU gestimmt und sind angesichts der Perspektive, in wenigen Jahren nicht mehr Teil der Europäischen Union zu sein, alles andere als amused.

Stichwort Rezession: Was sind die Folgen für den Raum Stuttgart?
Im Einzelnen ist das noch nicht zu beantworten – dafür ist es viel zu früh, auch weil die Britische Regierung auf Zeit spielt und das Austrittsgesuch nach Artikel 50 erst im Zeitraum September / Oktober stellen will. Klar ist aber, dass exportorientierte Unternehmen mit starken Beziehungen nach Großbritannien deutlich betroffen sein werden. Das gilt für die Automobilindustrie (z.B. Mercedes-Benz, Porsche, Baden-Württembergische Zulieferer wie Bosch) ebenso wie für den im Ländle traditionell starken Maschinenbau oder Unternehmen aus der Konsumgüter-Industrie, Chemie- und Pharma- oder Software-Firmen. Weniger Aufträge von der Insel bedeutet weniger Umsätze, geringere Auslastung in der Produktion und einen geringeren Personalbedarf – Entlassungen auch bei uns sind nicht auszuschließen. Für seriöse Voraussagen ist es allerdings zu früh – zu unklar ist, wie (streng) sich die Europäischen Staats- und Regierungschefs bei den Austrittsverhandlungen verhalten werden und wie der Brexit letztlich vertraglich gestaltet wird. Wird es schon wieder Sonderregelungen für die Briten geben? Wird man besonders streng und konsequent verhandeln, um Nachahmer abzuschrecken? Niemand weiß das. Es ist jedenfalls kaum zu erwarten, dass Baden-Württemberg messbar vom Umzug Europa orientierter Unternehmen aus Großbritannien nach Deutschland profitieren wird. Das dürfte eher für den Raum Frankfurt gelten - der Zuzug international operierender Banken, Versicherungen und anderer Finanzdienstleister an den Standort der Europäischen Zentralbank EZB ist durchaus realistisch.

Wie sind die Folgen für Verbraucher?
Auch für Verbraucher sind im Bereich Reisen, Arbeit und Familie/Ehe Auswirkungen zu erwarten, wie der Rechtsexperte Markus Mingers von der Kanzlei Mingers & Kreuzer (Köln) im Folgenden erläutert:  

Brexit & Urlaub: Welche Folgen hat der EU-Austritt für Reisende?
# Quite expensive: „Der Brexit könnte Auswirkungen auf den Flugverkehr haben. Reisende würden für Flüge ins Vereinigte Königreich mehr zahlen, Airlines ihre Preise erhöhen. Denn derzeit profitieren Reisende noch vom Sitz britischer Airlines in der EU“, vermutet Mingers.  
# Ärger bei Verspätungen: Noch schützt Reisende innerhalb der EU die EU-Fluggastrechte-Verordnung. Verspäten sich nach dem Austritt Groß-britanniens aus der EU die Flüge aber — und das werden sie sicher das ein oder andere Mal — kann eine Fluggastentschädigung nicht mehr über die EU-Reglements erfolgen. Eigene Verordnungen bestimmen dann, was bei verspäteten Flügen für Fluggäste möglich ist.
# Pass statt Perso: Bei Reisen nach Großbritannien brauchte man bislang nur einen Personalausweis. Mit dem Brexit wäre es möglich, das Vereinigte Königreich nur noch mit Reisepass betreten zu dürfen. Ein Visum wird es für einen Urlaubs-Aufenthalt aber voraussichtlich nicht brauchen.
# Reisen als Schnäppchen: „Durch den Brexit, der nun schon erste Einbußen für den Pound an der Börse offenbart hat, werden Reisen ins Königreich günstiger. Insgesamt ist der Euro mehr Wert. Gleichzeitig bedeutet dies umgekehrt auch, dass ein Urlaub innerhalb der EU für die Briten teurer wird“, stellt Mingers fest.

Brexit & die Frage mit der Staatsangehörigkeit: Welche Folgen hat der EU-Austritt für die Briten?
# Das Ende der Freizügigkeit: „Bislang genießen EU-Mitgliedsstaaten gegenseitig viele Freiheiten. So darf also bspw. gearbeitet, gelebt und sich  bewegt werden. Die EU-Freizügigkeitsrichtlinie gebietet das. Was der Brexit daran ändert, bleibt abzuwarten“, so der Rechtsexperte.
# Status unklar: Als Briten in Deutschland, ca. 100.000 an der Zahl, wird es mit dem Brexit schwierig mit der Staatsangehörigkeit. Ihr Status ist mit dem endgültigen Austritt aus der EU unklar und unterliegt einer neuen Regelung. Vorsorglich haben viele in Deutschland lebende Briten bereits seit 2013, dem Zeitpunkt der ersten Brexit-Debatte, die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt. Weitere Anträge werden nun erwartet. „Voraussetzung für deutsche Staatsbürgerschaft ist ein Aufenthalt von mindestens acht Jahren in der BRD, Sprachkenntnisse, eine Aufenthaltserlaubnis und die Anerkennung des Grundgesetzes“, erklärt Mingers.

Brexit & Familie: Welche Folgen hat der EU-Austritt für Familien und Eheleute?
# Bis dass der Tod uns scheidet: „Auch ein Brexit ändert nichts am Ehegelöbnis. Wurde eine Ehe nach geltendem Ortsrecht geschlossen, ist die Ehe überall gültig. Das gilt auch für deutsch-britische Ehen!“, klärt Mingers auf.
# Goodbye my Love, goodbye: „Kommt es in einer bi-nationalen Ehe doch zur Scheidung, springt das europäische Gesetz ein und regelt die Trennung, aktuell ist dies mit der Rom-III-Verordnung der Fall. Dabei entscheidet der letzte gemeinsame Wohnort die Zuständigkeit für die Scheidungsregelung. Bislang wird davon ausgegangen, dass es bei diesem Recht bleibt — auch hier bleibt die Entwicklung noch unklar!“, erklärt Mingers.

Brexit & Arbeitsrecht: Welche Folgen hat der EU-Austritt für Arbeitnehmer?
# Arbeitnehmer aus EU-Ländern in der UK: Für die 2,2 Mio. Arbeitnehmer aus dem EU-Ausland heißt es trotz Brexit Aufatmen. Sie dürfen auch nach dem EU-Austritt der Briten in Großbritannien bleiben, bzw. arbeiten.
# Arbeitnehmer in Großbritannien künftig: „Mit dem Brexit kommt die Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Diese gewährleistet EU-Mitgliedsstaaten bisher viele Vorteile in Bezug auf Rentenversicherungen und Ansprüche. Nach dem EU-Austritt wird es künftig schwierig sein, in Großbritannien zu arbeiten. Ob es ein Visum braucht, bleibt ebenfalls abzuwarten“, erklärt Mingers die aktuelle Situation. Vor allem die Tourismus- und Hotelbranche fürchtet um Mitarbeiter aus dem EU-Ausland. Diese entsprechen zu hohen Anteilen nicht den Visa-Vorschriften.
# Arbeitnehmer aus UK in Deutschland: Was mit den 100.000 Briten hier in Deutschland nach dem Brexit mit Bezug auf Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis passiert, kann noch nicht abgesehen werden. „Aber die Aussicht auf bürokratische Hürden liegt nahe“, meint Mingers. Auch aus diesem Grund hat es bereits zu Beginn des Jahres viele Einbürgerungsanträge seitens der Briten gegeben.

Samstag, Mai 18, 2024

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