„Vor 80 Jahren – Sindelfingen im Krieg“: September 1940

„Vor 80 Jahren – Sindelfingen im Krieg“: September 1940 Foto: SZ vom13.09.1940 / Breuninger

Langzeitprojekt des Stadtmuseums +++ „Kleiderwünsche und Punktfragen im Herbst“ – Reichskleiderkarten (Text: Illja Widman)

Die zugehörige Vitrine im Sindelfinger Stadtmuseum ist ab Freitag, den 25. September 2020 dem Publikum zugänglich.

„Kleiderwünsche und Punktfragen im Herbst“ – so ist die Werbung von E. Breuninger, Stuttgart am 13. September 1940 in der Sindelfinger Zeitung überschrieben. Zu sehen ist eine Familie, die aufmerksam die neue Kleiderkarte studiert. „Wie das Reich für alles sorgt, so hat es auch rechtzeitig daran gedacht, durch die Ausgabe einer neuen Kleiderkarte Ihre Kleiderwünsche zu erfüllen…die neue Mode erfüllt vor allen Dingen den Zweck, da ergänzend einzuspringen, wo Kleider, Anzüge,…usw. ersetzt werden müssen…Mit etwas Geschick können Sie also leicht Ihre modischen Wünsche mit den Punkten Ihrer Kleiderkarte „unter einen Hut“ bringen. Geh` doch zu Breuninger!“

Kleiderkarte 1Foto: Reichsgesetzblatt 1940Erfüllung der notwendigsten Bedürfnisse
Wer die Werbung aufmerksam liest, erkennt das wichtige Wort „ersetzen“. Es geht also nur um die notwendigste Kleidung. Auf den ersten Blick vermitteln die Werbung und auch die Informationen in den Tageszeitungen ein Bild der Normalität, das jedoch im Gegensatz zur Realität der Bevölkerung stand. Die neue Ausgabe der Reichskleiderkarte war ein weiteres Indiz für eine längerfristige Fortführung der Kriegswirtschaft im beginnenden zweiten Kriegsjahr. Seit dem 7. September 1940 flog die deutsche Luftwaffe verstärkt Angriffe auf London und ganz Großbritannien. Die Erwartung eines schnellen Kriegsendes nach dem Sieg über Frankreich verblasste bereits wieder.

Ohne die richtige (Kleider-) Karte geht nichts
Der Erwerb von Kleidung, Textilien und Schuhen war seit November 1939 nur über Kleiderkarten und Bezugsscheine möglich. Die Zweite Reichskleiderkarte war vom 1. September 1940 bis 31. August 1941 gültig. Es gab sechs Arten von Karten mit jeweils 150 Punkten für Säuglinge, Kleinkinder, Mädchen und Jungen bis 15 Jahre, Frauen und Männer, ergänzt durch Zusatzkarten für Jugendliche. Ein Kleid aus Kunstseide „kostete“ z.B. 23 Punkte, sollte es aus Wolle sein, dann mussten 42 Punkte, d.h. fast ein Drittel der Gesamtpunktzahl, eingelöst werden. Für Sommer- und Wintermäntel oder Herrenanzüge waren sehr viele Marken erforderlich. Hier gab es die Möglichkeit einen Bezugsschein zu beantragen, dessen Gewährung jedoch sehr restriktiv gehandhabt wurde. Bei der Stadtverwaltung gingen immer wieder Briefe von Bürgern ein, die in eine Notlage gerieten, da ihnen im Winter warme Bekleidung fehlte.
Die korrekte Verwendung der Kleider- und Lebensmittelkarten für mehrere Personen einer Familie war aufwändig. Hier war gute Planung erforderlich, zumal eine Übertragung der Karten innerhalb der Familie nicht zulässig war und Mißbrauch bestraft wurde.

Versorgung zur Vermeidung von Unruhen
Aus der Erfahrung des Ersten Weltkriegs heraus bemühten sich die Nationalsozialisten, die Versorgung der Bevölkerung im Krieg zu sichern, um soziale Unruhen zu verhindern und die Kriegsmoral aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig regelte das Wirtschaftsministerium über Gesetze, Erlasse und Verordnungen, wer von der Verteilung ausgeschlossen wurde.

Ausgrenzung: Keine Kleiderkarten für Juden
Am 10. Februar 1940 ging beim Bürgermeisteramt ein vertraulicher Brief mit folgender Anordnung ein: „Juden erhalten keine Reichskleiderkarte…Die Spinnstoff- und Schuhversorgung der Juden erfolgt durch die „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“…Im Übrigen steht ihnen der Erwerb von Altwaren ohne Bezugsschein offen…Von einer Veröffentlichung dieses Erlasses ist abzusehen.“ Juden sollten sich somit in alten abgetragenen Kleidern in der Öffentlichkeit zeigen – ein weiterer Baustein zu ihrer sichtbaren Ausgrenzung aus der Gesellschaft.

Über die Ausstellung
Das Stadtmuseum Sindelfingen befasst sich seit September 2019 bis Mai 2025 unter dem Titel „Vor 80 Jahren – Sindelfingen im Krieg“ mit der Zeit des Zweiten Weltkriegs und wie sich damals die Situation für die Menschen vor Ort darstellte.

Dazu wird monatlich ein Objekt oder Thema in den Mittelpunkt gestellt, das vor 80 Jahren relevant war und auf das analog im Stadtmuseum Bezug genommen wird. So entsteht eine Reihe mit 69 Beiträgen, die monatliche Blitzlichter auf die Zeit von September 1939 bis Mai 1945 wirft und das damalige Geschehen auf lokaler Ebene lebendig werden lässt. Die Objektauswahl erfolgt anhand der Sammlungsbestände von Archiv und Museum. Darüber hinaus werden auch Erinnerungsorte einbezogen und, begleitend zum Projekt, Gespräche mit Zeitzeugen geführt und aufgezeichnet.

Weitere Infos
Das Stadtmuseum ist geöffnet von Dienstag bis Samstag, 15 - 18:00 Uhr und am Sonn- und Feiertag von 13 - 18:00 Uhr.
Im Museum gilt Maskenpflicht. Der Eintritt ist kostenlos.
Adresse: Lange Str. 13,
71063 Sindelfingen

Öffnungszeiten:
Täglich 15:00 - 18:00 Uhr,
Sonntags ab 13:00 Uhr,
Montags geschlossen.
Telefon 07031 / 94 357

Sonntag, Mai 05, 2024

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