S-Pedelecs: Wenn das Fahrrad zum Fahrzeug wird

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Das sind keine einfachen Bikes mehr: Sogenannte S-Pedelecs sind Elektrofahrräder, die bis 45 km/h schnell werden können.

Mit diesem (möglichen) Tempo wird das S-Pedelec juristisch zum Kraftfahrzeug – mit weitreichenden Folgen für Hersteller, Fahrer und auch Mechaniker. Fast alle E-Bikes sind sogenannte Pedelecs, die mit maximal 250 Watt Dauernennleistung bis höchstens 25 km/h beim Treten unterstützen und rechtlich den Fahrrädern gleichgestellt sind. Vor allem bei Pendlern werden inzwischen aber auch die S-Pedelecs immer beliebter, die maximal 500 Watt Dauernennleistung aufweisen und bis 45 km/h schieben. Das macht sie ideal als Autoersatz auch auf längeren Arbeitswegen. 2015 machten die S-Pedelecs rund zwei Prozent aller verkauften Elektroräder aus. Somit wurden ca. 11.000 neue S-Pedelecs gekauft – in etwa so viele wie neue E-Autos. Während sie von außen noch sehr nach Fahrrad aussehen, sind sie verkehrsrechtlich allerdings Leichtkrafträder (Klasse L1e bei Zweirädern und L2e bei Dreirädern), die sich vom Fahrrad deutlich unterscheiden: „Man braucht in Deutschland einen Helm, ein Versicherungskennzeichen und eine Fahrerlaubnis. Man darf nicht auf den Radweg – und kann auch nicht mehr mal eben etwas daran umbauen“, fasst Anja Knaus vom schweizerischen E-Bike-Pionier Flyer zusammen.

Bauliches

Rein äußerlich erkennt man S-Pedelecs am Rückspiegel und gelben Seitenrückstrahlern, die meist an der Gabel angebracht sind. „Zudem braucht das Rad ein Versicherungskennzeichen. Seit 2015 muss es an neu zugelassenen Rädern auch beleuchtet sein“, konkretisiert Sebastian Göttling vom Beleuchtungsspezialisten Busch & Müller. Auch ein Seitenständer ist bei S-Pedelecs vorgeschrieben, außerdem muss dieser sich von selbst einklappen, sobald er unbelastet ist – wie beim Motorrad.

Hersteller von S-Pedelecs müssen für jedes Modell vom Kraftfahrtbundesamt (KBA) eine Betriebserlaubnis einholen. Hat ein Modell diese Zulassung einmal erhalten, darf es beliebig oft in den Handel kommen. „Aus der Einzelzulassung resultiert jedoch, dass man ein S-Pedelec nicht einfach baulich verändern darf“, warnt Harald Troost vom niederländischen Hersteller Koga. Ist etwa ein Reifen verschlissen oder ein Bremshebel verbogen, muss er durch ein gleiches Bauteil ersetzt werden. Ein anderes Teil müsste ausdrücklich den in der Betriebserlaubnis (BE) aufgeführten Teilen entsprechen. Wenn man ein S-Pedelec davon abweichend ausstattet, muss es dem technischen Dienst vorgeführt werden, bevor es wieder auf die Straße darf. Aufgrund der Spezifikation des Antriebs (Motor, Ritzel, Schaltung und Sensorik) ist außerdem eine maximale Übersetzung vorgegeben, die man nicht ändern, sprich vergrößern darf. Eine kürzere, also leichtere Übersetzung ist erlaubt. Bezüglich der einzelnen Schalt- und Bremskomponenten brauche es keine Herstellervorgaben, etwa bei Schalthebeln und Schaltwerken, Bremsbelägen oder Bremshebeln. Diese darf man eigenverantwortlich wechseln – der Tausch muss aber einer eventuellen Prüfung durch den Fachhandel oder Behörden standhalten. „Es braucht allerdings schon den versierten Hobbyschrauber, um sich mit hydraulischen Bremssystemen auseinanderzusetzen“, schränkt Tobias Erhard vom Komponentenhersteller Sram ein. „Bei S-Pedelecs ist überdies zu beachten: Der Bremshebel muss ein Kugelende aufweisen, wie Motorradbremshebel auch. Ein Tuning auf kürzere MTB-Bremshebel etwa könnte bei einer Verkehrskontrolle stillgelegt werden“, so Erhard weiter.
„Als Richtschnur gilt dabei immer die Zulassung des Fahrzeugs“, fasst Branchenjurist Blume zusammen. „2016 neu zugelassene Fahrzeuge brauchen z. B. ein Bremslicht, ältere S-Pedelecs nicht. Alles was vorher dran war, muss auch wieder dran.“

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Bei vielen rechtlichen Vorschriften für diese Fahrzeugklasse der S-Pedelecs liegt die sogenannte bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit (bbH) zugrunde. „Das Bundesverkehrsministerium geht hier explizit nicht von der reinen Motorleistung (Schiebehilfe) aus, sondern von der Höchstgeschwindigkeit des Hybridantriebs Mensch und Motor, und die liegt bei 45 km/h“, beschreibt Felix Puello, bei Haibike zuständig für die Produktentwicklung. Dass der Fahrer theoretisch darüber hinaus pedalieren könnte, fällt nicht ins Gewicht. Aus der bbH resultiert laut § 21a Abs. 2 StVO die Pflicht, einen „geeigneten Schutzhelm“ zu tragen. Schon auf dem Deutschen Verkehrsgerichtstag 2012 in Goslar waren sich die Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Polizei und Verbänden einig, dass ein Motorrad-Integralhelm als nicht geeignet angesehen werden kann. „Pedelecs sind ja sehr beliebte Familienmobile. Das S-Pedelec jedoch ist ausdrücklich nicht zum Transport weiterer Personen freigegeben – Kindersitz und auch Kinderanhänger sind demnach verboten“, erklärt Anne Schmidt vom Anhängerhersteller Croozer. „Ein Lastenanhänger wiederum ließe sich theoretisch zwar am schnellen E-Bike verwenden. Nur muss die Kupplung ‚in amtlich genehmigter Bauart ausgeführt sein‘, wie es so schön heißt“, so Schmidt weiter. Faktisch gebe es derzeit aber keine für S-Pedelecs zugelassenen Kupplungen.

S-Pedelecs müssen permanent mit Licht fahren, wie Motorräder auch. Dazu gilt ein Mindestalter von 16 Jahren, bedingt durch die Führerscheinpflicht (Klasse AM). Dieser ist im Autoführerschein enthalten. Menschen, die vor dem 01.04.1965 geboren wurden, dürfen schnelle Pedelecs auch ohne Fahrerlaubnis bewegen. Als Leichtkrafträder benötigen S-Pedelecs das Versicherungskennzeichen, das man vom Moped und Roller kennt: drei Ziffern, drei Buchstaben und jedes Jahr eine neue Farbe. Für S-Pedelecs hat es einen finanziell sehr interessanten Aspekt, berichtet Harald Troost: „In der Leistung der vorgeschriebenen Versicherung ist neben Unfallschäden auch der Diebstahl des Fahrzeugs abgedeckt – für ab etwa 50 Euro jährlich und Fahrzeugpreisen ab etwa 3.000 Euro ist das ein im Gegensatz zu Fahrradversicherungen ziemlich günstiger Posten!“

Umdenken in Sachen Streckengestaltung

Viele mit dem Fahrrad übliche Abkürzungen darf man mit dem schnellen E-Rad nicht nutzen – für routinierte Radler keine einfache Sache. So sind zum Beispiel in Gegenrichtung freigegebene Einbahnstraßen zu umfahren, auch gilt das „Durchfahrt verboten“-Schild (roter Kreis auf weißem Grund, StVO-Schild 250) an Feld-, Wirtschafts-, Wald- und Parkwegen für S-Pedelecs ebenso wie für Autos. Selbst mit ausgeschaltetem Motor dürfen sie dort nicht bewegt werden. „Grundsätzlich dürfen S-Pedelecs nicht auf dem Radweg fahren, was durchaus für Verwirrung anderer Verkehrsteilnehmer sorgen kann“, wie Tobias Spindler erlebt hat. Einzige Ausnahme: Ein explizit mit „Mofas frei“ gekennzeichneter Radweg darf, meist außerorts, auch mit dem schnellen Pedelec befahren werden. Im Sommer 2015 beschloss die Bundesregierung, Verkehrsbehörden die Freigabe von ausgewählten Radwegen für die S-Klasse mit einem „E-Bikes-frei“-Schild zu erlauben – mit häufigen baulichen Begebenheiten außerorts vor Augen, bei denen Fahrer schneller Pedelecs gezwungen waren, eine Bundesstraße zu nutzen.

Fazit

Die schnellen E-Räder werden immer beliebter und ersetzen vor allem bei Pendlern oft das Auto, erhöhen sie doch den Aktionsradius signifikant. „Schnelle Elektroräder helfen, die noch große Lücke in der Individualmobilität zwischen Fahrrädern und Autos zu schließen“, ist sich Paul Hollants vom Liegeradhersteller HP Velotechnik sicher, wo immerhin ein Achtel aller motorisierten Liegedreiräder in der 45-km/h-Variante verkauft werden. Letztlich erfordert das S-Pedelec ein Umdenken – auf allen Seiten.
Der Gesetzgeber muss dringend die Grauzone für diese Fahrzeuge abschaffen und insbesondere die legalen Vorgaben an die Nutzungsrealität auf den Straßen anpassen. Im Alltag müssen andere Verkehrsteilnehmer sich daran gewöhnen, dass nicht mehr nur Rennradfahrer schnell unterwegs sind.

Freitag, Mai 03, 2024